Europa will bis 2050 klimaneutral werden. Damit steht der Bau- und Immobilienwirtschaft eine grundsätzliche Neuorientierung bevor. Geht es nach dem Green Deal der EU-Kommission, ist eine weitreichendere Gebäudebewertung über den gesamten Lebenszyklus unumgänglich. Zu den Energie- und Ressourcenaufwendungen für die Errichtung und den Betrieb eines Gebäudes kommt der End-of-Life-Betrachtung von Bauprodukten eine wichtige Bedeutung zu. Um die Effizienz einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft gewährleisten zu können, ist eine umfassende Datenbasis über die Umweltwirkungen von Rückbau, Wiederverwertung und ggf. Entsorgung für alle verbauten Bauprodukte nötig. Sogenannte Circularity Module für Umweltproduktdeklarationen (CMEPD) sollen diese Datenlücke schließen.
Mit dem europäischen Green Deal steht die Bau- und Immobilienwirtschaft vor großen Herausforderungen. Ihre bedeutende Rolle in den Zukunftsstrategien für eine vollständige Klimaneutralität bis 2050 ist unbestritten, die Erwartungshaltung seitens der politischen Akteure hoch. Um die übergeordneten Ziele des Green Deal – Klimaschutz und Ressourcenschonung – erreichen zu können, ist neben energie- und ressourcenschonendem Bauen und Renovieren eine funktionierende, kreislauforientierte Wirtschaft gefordert. „Der Bausektor wird in sehr naher Zukunft einen erheblichen Bedarf an Daten zu Rohstoffeinsatz und Zirkularität haben, um verlässliche Angaben zur Klimaneutralität von Gebäuden bekommen zu können“, sagt Dr. Alexander Röder, Geschäftsführer des Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU). Eine umfassende Datengrundlage wird nötig sein, damit bereits in der Planungsphase und bei einer späteren Gebäudezertifizierung sämtliche relevanten Faktoren überhaupt berücksichtigt werden können.
Um Umweltwirkungen von Bauprodukten transparent darlegen zu können, hat sich die Ökobilanz als optimales Werkzeug erwiesen. Die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse werden in Umweltproduktdeklarationen (EPDs) zusammengeführt. EPDs wiederum sind Teil einer Lebenszyklusanalyse von Gebäuden, also dem Zusammenwirken aller Bestandteile über die Lebens- und Nutzungsdauer. Bislang müssen nach EN 15804 allerdings nur Daten für das Produktionsstadium (Module A1, A2 und A3) von der Rohstoffversorgung über den Transport bis zur eigentlichen Produktherstellung in einer EPD deklariert werden. Daten zum restlichen Lebenszyklus, von der Errichtung des Gebäudes über seine Nutzung bis zum Abriss und dem anschließenden Umgang mit den Bauprodukten sind optional, werden jedoch in der Regel von den Herstellern bereits ausgewiesen.
Bereits ab 2023 wird für die Mehrheit aller Produkte auch die Deklarierung der Entsorgungsphase (Module C1 bis 4) sowie das Wiederverwendungs-, Rückgewinnungs- und Recyclingpotenzial (Modul D) verpflichtend.
Produkteigenschaften, Wiederaufarbeitung und hochwertiges Recycling
Die Optimierung der Produkte hinsichtlich ihrer Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Nachrüstbarkeit und Reparierbarkeit ist nur ein Aspekt, den Bauprodukthersteller in Zukunft noch stärker verfolgen müssen. Mindestens genauso wichtig sind die Wiederaufbereitung und das hochwertige Recycling. Im Rahmen eines Forschungsprojektes im Auftrag des Umweltbundesamtes wurde eine grundsätzliche Systematik entwickelt, mit der die Datenlücke zu Recyclingpotenzialen von Bauprodukten geschlossen werden kann. Das neue, sogenannte Circularity Module for EPDs (CMEPD) liefert zukünftig konkrete Angaben zum Recycling bestimmter Produktgruppen und Materialtypen. Die gewonnenen Informationen sind passgenaue Ergänzungen zu den anderen Phasen des Produkt-Lebenszyklus und werden im Rahmen von Umweltproduktdeklarationen unter anderem Planern und Gebäudezertifizierern digital bereitgestellt – beispielsweise über IBU.data. Sie können zudem direkt in BIM-fähiger Planungs-Software eingelesen und dort weiterverarbeitet werden.
In der Praxis zeigt sich allerdings, dass Bauprodukthersteller in der Regel wenige Informationen über die Nachnutzung ihrer Produkte sowie die Prozesse in den Recyclingunternehmen haben. Bislang basieren Angaben zum End-of-Life eher auf Durchschnittswerten gängiger Entsorgungsverfahren, wie beispielsweise der Deponierung oder der energetischen Verwertung. CMEPD, die in Zusammenarbeit mit Ökobilanzierern erstellt werden, basieren hingegen auf Daten von Recycling- und Entsorgungsunternehmen. Dadurch könnten je nach Bauprodukt und Verwendungszweck sehr konkrete Angaben zu Nachverwertung, Wiederaufbereitung, Entsorgung und gegebenenfalls dem Anteil an Sekundärmaterial gemacht werden. Diese wiederum würden eine optimale Planung nachhaltiger Gebäude im Sinne des Green Deal ermöglichen. Auf diese Weise erlauben es CMEPD, den ökologischen Fußabdruck unterschiedlichster Bauprodukte konsistent und mit überschaubarem Aufwand zu beschreiben.
Potenziale für die Entsorgungsbranche
Der steigende Bedarf an belastbaren Daten zu Aufbereitungsprozessen und Materialanforderungen eröffnet Recycling- und Entsorgungsunternehmen ein zukunftsfähiges Geschäftsfeld. Hinzu kommt, dass der Bedarf an Wiederaufarbeitung von rückgebauten Materialien und die Gewinnung von Sekundärrohstoffen deutlich steigen wird. Mit CMEPD verfügt das IBU bereits heute über ein standardisiertes Format zur Bereitstellung dieser Materialdaten.
„Wie ein erst kürzlich von uns veranstaltetes Online-Kolloquium mit rund 125 Teilnehmenden eindrucksvoll gezeigt hat, bedarf es eines regen Informationsaustauschs zwischen Bauproduktherstellern und Recycling- und Entsorgungsunternehmen“, sagt Dr. Röder. Durch eine engere Zusammenarbeit und Pilotprojekte mit Herstellern und Recyclern soll es möglich werden, Stoffströme positiv zu beeinflussen, Recyclingraten zu verbessern und Ressourcen schonen zu können.